© Albert Thiele
20. November 2024
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Michelle Bittroff

5 Fragen an einen Rhetoriktrainer: Argumentieren unter Stress

Argumentieren unter Stress. Eine Situation, die viele Menschen aus dem privaten oder beruflichen Umfeld kennen. Dr. Albert Thiele, Präsentations- und Dialektiktrainer sowie Beststellerautor zeigt uns, wie wir auch in emotional aufgeladenen Situationen souverän reagieren und unsere Mitmenschen überzeugen statt überreden.​

Hallo Albert, du hast ein Buch geschrieben mit dem Titel „Argumentieren unter Stress“ – ein Best- und Longseller. Warum glaubst du, ist das Thema so relevant? Und welche Tipps hast du, um in unfairen Angriffen oder emotional aufgeladenen Debatten einen klaren Kopf zu behalten?​

Das Thema ‚Argumentieren unter Stress‘ war noch nie so relevant wie heute, denn jeder von uns kennt emotional aufgeladene Streitgespräche – in der eigenen Familie, mit Freunden und Freundinnen, im beruflichen Bereich oder wenn es um politische Themen geht.

Das Schlimmste, was in solchen Situationen passieren kann, ist, dass man bei verbalen Angriffen die Kontrolle verliert und sich emotional in den Streit hineinziehen lässt.

Die Tipps und Handlungsempfehlungen, die ich dazu geben kann, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Halten Sie den emotionalen Angreifer auf Distanz
  2. Stoppen Sie die Unfairness
  3. Deeskalieren Sie die Situation
  4. Fokussieren Sie sich auf das Sachthema

Argumentieren unter Stress

Das klingt erstmal super. Aber wie sieht das in der Praxis aus?​

Wenn Sie zu schnell reagieren und zu blinden Reizreaktionen neigen, verlieren Sie die Kontrolle, weil Ihr Gehirn nicht mehr reflektieren kann. Deshalb empfehle ich, erst einmal innerlich bis vier zu zählen und sich dann die richtige Dauerstrategie zu überlegen. Das funktioniert zum Beispiel mit Lenkungstechniken, die das Gespräch wieder auf die Sachebene bringen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Kollege sagt: „Das ist doch Quatsch, was du da von dir gibst“. Darauf können Sie antworten: „Na ja, ich habe nicht ganz verstanden, was dein Sachargument ist. Erkläre es mir.“

Mit dieser einfachen Technik ignorieren Sie die Unfairness der vorherigen Aussage und lenken geschickt zum eigentlichen Thema zurück.

Das funktioniert natürlich nicht immer beim Argumentieren unter Stress, deshalb habe ich drei weitere Techniken entwickelt, um verschiedene Arten von unfairen Angriffen zu neutralisieren

Jetzt bin ich gespannt. Wie sehen denn die anderen Möglichkeiten aus?​

Die zweite Möglichkeit ist, die Unfairness zu identifizieren. Das heißt, man geht auf die Person zu und sagt: „So kommen wir nicht weiter. Was hältst du davon, wenn wir zur Sachlichkeit zurückkehren, uns an die Regeln des Fairplay halten und das Thema gemeinsam betrachten?“

Drittens kann man eine stressige Situation mit Humor ironisieren. Doch lassen Sie im beruflichen Kontext Vorsicht walten und achten Sie stets darauf, mit wem Sie sprechen: „Ich würde mich gerne mit dir geistig duellieren, aber ich sehe, du bist unbewaffnet.“

Die letzte Möglichkeit wäre, die Situation zu verlassen und mit dieser Taktik der unfairen Kommunikation aus dem Weg zu gehen. Dies wäre jedoch der Worst Case.

Argumentieren unter Stress

Ich habe hier konkrete Lenkungstechniken genannt, aber neben diesen muss man auch eigene, starke Botschaften und fachliche Substanz mitbringen.

In Anlehnung an Vera Birkenbihl nenne ich diese Technik „Inseln im Wasser“: Das heißt, bevor ich in ein Gespräch gehe, schreibe ich mir die fünf wichtigsten Themen auf, die mit hoher Wahrscheinlichkeit angesprochen werden und formuliere dazu meine kurzen Statements. So habe ich dann spitze Pfeile im Köcher oder eben Inseln mit spezifischem Wissen, auf die ich zugreifen kann und die ich an den richtigen Stellen einbringe.

Ergänzend spielen natürlich auch das eigene Auftreten und die innere Einstellung beim Argumentieren unter Stress eine wichtige Rolle, denn Persönlichkeit wirkt mehr als Worte: Zeigen Sie dem Angreifer durch entschlossenes Auftreten, ihre selbstbewusste Körpersprache und eine feste Stimme, dass Sie sich nicht klein und unterlegen fühlen sondern gleichberechtigt und stark.

Wenn jemand Ihnen gegenüber laut wird, sehen Sie das nicht als Bedrohung, sondern als spannende Herausforderung, spezielle Deeskalationstechniken auszuprobieren oder zu lernen, mit festgefahrenen Situationen oder Meinungen umzugehen.

Kann man lernen, besser zu argumentieren und wenn ja, wie?​

Wenn man es nicht lernen könnte, müsste man alle Seminare, Webinare und Bücher in den Papierkorb werfen. Wie sagte schon Cicero: Reden lernt man nur durch Reden. Das gilt auch für das Argumentieren. Doch der bloße Wille, besser argumentieren zu wollen, reicht nicht aus. Neben dem Wunsch, besser zu werden, brauchen wir auch kognitiven Input und Best Practices für das Argumentieren und Präsentieren. Aber wo finde ich das beste Wissen und wie kann ich das Argumentieren unter Stress üben?

Dabei könnten VR-Brillen oder ChatGPT das Rhetorik- und Argumentationstraining unterstützen. Ersteres vor allem für paraverbale Signale, letzteres für die Vorbereitung Ihrer Argumentation – natürlich immer mit den Grenzen dieser Technologien im Hinterkopf.

Wie würdest du ChatGPT konkret für die Vorbereitung nutzen?​

ChatGPT kann als virtueller Assistent eine bedeutende Rolle in der Vorbereitung auf Diskussionen, Präsentationen oder Verhandlungen spielen. Dieses KI-Tool ist nützlich, um Argumente und Gegenargumente zu einem bestimmten Thema zu entwickeln, wodurch eine umfassende und tiefgreifende Vorbereitung ermöglicht wird. Zudem kann der Assistent dabei helfen, kritische Fragen und potenzielle Einwände im Voraus zu identifizieren und passende Antworten darauf zu generieren.

Ein Anwendungsbeispiel: Stellen Sie sich vor, Sie bereiten sich auf das Diskussionsthema „Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt“ vor. Hier kann Ihnen ChatGPT in kurzer Zeit die breitbandigen Chancen und Risiken liefern. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Prompts präzise formuliert sind, um spezifische und relevante Informationen zu erhalten. Hier sind zwei Beispiel-Prompts zu diesem Thema:

Prompt zur Erkundung von Chancen:​ "Erstelle eine umfassende Übersicht über die positiven Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf die Arbeitswelt inklusive Beispiele für verbesserte Effizienz und neue Arbeitsplatzschaffung. Berücksichtige dabei verschiedene Industriezweige und beziehe aktuelle Studien und Statistiken mit ein."

Prompt zur Erkundung von Risiken:​ "Analysiere die potenziellen Risiken und Herausforderungen, die die Einführung von Künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt mit sich bringt. Diskutiere Themen wie Jobverluste, Datenschutzbedenken und die Notwendigkeit von Umschulungen. Nutze dabei aktuelle Forschungsergebnisse und Beispiele aus betroffenen Branchen."

Die Antworten können in mehreren Durchgängen verfeinert werden, so dass Sie eine tragfähige Grundlage haben, Ihre eigene Position zu dem Thema zu schärfen. Wenn ein konkretes Auftrittsszenario, zum Beispiel ein Teammeeting ansteht, bei dem KI diskutiert wird, kann Sie der virtuelle Assistent bei der Vorbereitung unterstützen. Mit zielorientierten, klaren und kontextbezogenen Prompts können Sie Ihre Argumente sammeln und gestalten sowie Reaktionen auf kritische Fragen, Einwände und Angriffe erarbeiten. ChatGPT hilft auch dabei, Ihre Gesprächspartner zu analysieren und mögliche Gegenpositionen besser zu verstehen. Diese Fähigkeiten machen das KI-Tool zu einem wertvollen Werkzeug bei der Vorbereitung auf kommunikative Herausforderungen.

Es ist jedoch zu beachten, dass ChatGPT, wie alle KI-basierten Systeme, Grenzen hat und fehleranfällig ist, besonders wenn es mit mehrdeutigen oder unklaren Anweisungen konfrontiert wird. Aus diesem Grund sollte das menschliche Urteil stets die unersetzbare letzte Entscheidungsinstanz bleiben. In meinem Buch spreche ich auch noch einmal über das Thema GPT.

Vielen Dank für den ersten Teil unseres Gesprächs, Albert! Beim nächsten Mal sprechen wir über die Ängste und Herausforderungen von Führungskräften und wie das richtige Mindset zu einer erfolgreichen Kommunikation beiträgt.​ Wir sind gespannt!

 

Michelle Bittroff
Michelle arbeitet seit Oktober 2023 als Online-Redakteurin beim Verlag Dashöfer. Nach ihrem Germanistik-Studium in Leipzig hat es sie in die schöne Hansestadt Hamburg verschlagen, wo sie in ihrer Freizeit gerne spazieren geht und mit einem Kaffee in der Hand den Blick auf die Alster genießt.
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